st.petersburger paradox dieser artikel stammt aus der letzten ausgabe der "nzz am sonntag".
ist wirklich interessant zu lesen.
------------ quelle: nzz am sonntag -------------
------------ autor: g.szpiro ---------------
Ein Franken ist nicht immer einen Franken wert
Wie das St. Petersburger Paradox zur Grundlage der Versicherungswirtschaft wurde
Im Jahre 1713 stellte der Basler Mathematiker Nikolaus Bernoulli (1687 bis 1759) eine Frage zu folgendem Spiel. Man nehme eine Münze und werfe sie in die Luft. Zeigt sie Kopf, erhält man zwei Taler. Andernfalls wiederhole man den Wurf. Landet die Münze nun mit Kopf nach oben, bekommt der Spieler vier Taler. Und so weiter. Bei jedem erfolglosen Wurf verdoppelt sich die Preissumme. Nach n Würfen bekommt der Spieler also 2 n Taler ausbezahlt, falls dann erstmals der Kopf erscheint. Nach 30 Würfen entspricht dies einer Gewinnsumme von etwas über eine Milliarde Taler.
Gigantische Gewinne Nun die Frage: Wie viel würde ein Hasardeur bezahlen, um an einem solchen Spiel teilzunehmen? Die meisten Menschen würden wohl zwischen fünf und zwanzig Franken bieten. Aber ist das richtig? Einerseits besteht bloss eine 25-prozentige Chance, mehr als vier Franken zu gewinnen. Andererseits kann der mögliche Gewinn enorm sein, denn die Wahrscheinlichkeit, eine sehr lange Reihe von «Zahl» zu werfen, bevor das erste Mal «Kopf» fällt, ist zwar sehr klein, aber durchaus nicht null. Das gigantische Preisgeld, das einem in diesem Fall winkt, macht die verschwindend kleine Gewinnchance wett. Nikolaus Bernoulli hatte sogar ausgerechnet, dass der Erwartungswert des Gewinns unendlich gross ist! (Der Erwartungswert berechnet sich, indem man den möglichen Gewinn mit der Wahrscheinlichkeit seines Eintretens multipliziert.)
Und hierin besteht ein Paradox: Wenn der Erwartungswert des Spiels unendlich gross ist, wieso ist dann niemand bereit, für die Teilnahme an dem Spiel hunderttausend, zehntausend oder auch nur tausend Franken zu bezahlen?
Die Erklärung des rätselhaften Verhaltens tangiert die Gebiete der Statistik, Psychologie und Wirtschaftswissenschaften. Es waren zwei Mathematiker, der Genfer Gabriel Cramer (1704 bis 1752) und der Vetter von Nikolaus, Daniel Bernoulli (1700 bis 1782), die eine Lösung vorschlugen. In einem Artikel hatten die beiden postuliert, dass der Nutzen, den ein Franken seinem Besitzer bringt, nicht immer gleich gross ist. Ein Franken bietet nämlich einem Bettler mehr Nutzen als einem Millionär. Während der Besitz eines zusätzlichen Frankens für den ersten bedeuten könnte, dass er am Abend nicht hungrig schlafen geht, würde Letzterer den Zuwachs seines Reichtums um einen Franken gar nicht bemerken. In der gleichen Art würde der Gewinn der zusätzlichen Milliarde, die nach dem 31. Wurf zu erwarten ist, nicht den gleichen Nutzen bringen wie die erste Milliarde, die man schon beim 30. Wurf erhalten hätte. Der Nutzen von zwei Milliarden Franken ist eben nicht doppelt so hoch wie der Nutzen einer einzigen Milliarde. Und da liegt die Erklärung für das Geheimnis. Ausschlaggebend ist nämlich der Erwartungsnutzen des Spiels (der Nutzen des möglichen Gewinns, multipliziert mit seiner Wahrscheinlichkeit), der viel, viel tiefer liegt als der Erwartungswert.
Daniel Bernoullis Abhandlung wurde in den «Kommentaren der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften von St. Petersburg» publiziert, und die überraschende Erkenntnis wurde fortan St. Petersburger Paradox genannt.
Etwa 1940 wurde die Idee der Nutzenfunktion am Institute of Advanced Studies in Princeton von zwei Emigranten aus Europa aufgegriffen. John von Neumann (1903 bis 1957), einer der überragenden Mathematiker des 20. Jahrhunderts, musste wegen seiner Religionszugehörigkeit vor den Nazis aus Ungarn fliehen, und der Ökonom Oskar Morgenstern (1902 bis 1976) hatte Österreich wegen seiner Abscheu gegenüber dem Nationalsozialismus verlassen.
Spieltheorie In Princeton taten sich die beiden zusammen, um einen kurzen Aufsatz über die Theorie der Gesellschaftsspiele zu schreiben. Die Abhandlung wuchs und wuchs, bis sie schliesslich im Jahre 1944 als 600-seitiges Opus mit dem Titel «Theory of Games and Economic Behavior» erschien. In diesem bahnbrechenden Werk, das einen profunden Einfluss auf die weitere Entwicklung der Wirtschaftswissenschaften ausübte, wurde die Nutzenfunktion von Bernoulli und Cramer als Axiom dem Verhalten des sprichwörtlichen Homo oeconomicus zugrunde gelegt.
Bald wurde jedoch bemerkt, dass Versuchspersonen in Situationen mit sehr tiefen Wahrscheinlichkeiten und sehr hohen Geldsummen oft Entscheidungen treffen, die gegen die postulierten Axiome verstossen. Die Ökonomen liessen sich dadurch nicht beirren. Die Theorie sei schon richtig, meinten sie, aber ein Grossteil der Menschen handele einfach irrational.
Trotzdem hatte die Nutzentheorie eine weitreichende Auswirkung. Bernoullis und Cramers Erklärung für das St.-Petersburg-Paradox schaffte die theoretische Grundlage für die Versicherungswirtschaft. Die Existenz einer Nutzenfunktion bedeutet nämlich, dass die meisten Menschen lieber 98 Franken besitzen, als sich an einer Lotterie zu beteiligen, bei der mit je 50-prozentiger Chance 70 oder 130 Franken gewonnen werden. Und dies, obwohl die Lotterie den höheren Erwartungswert von 100 Franken besitzt. Der Unterschied von zwei Franken ist die Prämie, die die meisten von uns bereit wären, für den Abschluss einer Versicherung zu bezahlen.
Dass viele Menschen mit dem Abschluss einer Versicherung einem Risiko aus dem Weg gehen, aber mit dem Kauf von Toto- und Lotto-Karten gleichzeitig ein anderes Risiko freiwillig auf sich nehmen, ist ein weiteres Paradox, das einer Erklärung bedarf.
g.szpiro@nzz.ch
NZZ am Sonntag, Ressort Wissen, 2. Juni 2002, Nr.12, Seite 96
Die Lotto-Bereitschaft der Gesellschaft hat imo u.a. folgenden Grund:
Reich sein ist ein Traum, für den "man" gern grosse Teile seines Einkommens (wortwörtlich) aufs Spiel setzt. Dieser Traum wird von weiten Teilen der Bevölkerung geteilt. Einer der Gründe dafür ist sicher, dass man mit Geld im System, das die Menschheit aufgebaut hat, wirklich verdammt weit kommt. Der Fehler ist nun aber bei Vielen, sich auf diesen Weg zu beschränken, oder anders gesagt nur diesen Traum zu haben. Ausgeklügelte Werbeslogans der Lotto-Betreiber mit imposant erscheinenden Gewinnchancenberechnungen kombiniert mit der durchschnittlichen Intelligenz eines Menschen sind eben ein Erfolgsrezept für Profit.
Ich möchte noch hinzufügen, dass Lotto eine wunderbare Eigenschaft hat, von der viele nicht wissen, die ich aber jedem Lotto-Gegner herzlich wünsche (einen Anruf folgender Art). Ich bekam kürzlich einen Anruf irgendeiner deutschen Lotto-Gemeinschaft. Die freundliche Dame hatte scheinbar den Auftrag, mich zu überzeugen, bei ihrem Einstiegsangebot einzusteigen.
.. weiter gehts in wenigen Minuten .. muss rasch den pc wechseln ..
.. ok, bin zwar wieder am gleichen pc, aber hab noch rasch spiderman beim hans gezock :) ..
Genau. Und dieser Anruf war einer der köstlichsten. Sie jonglierte mit Wahrscheinlichkeitsrechnungen und abartig vielen Zahlen, die subjektiv so einleuchtend und unfehlbar tönten, bei wachem Zuhören jedoch als Rattenfängerei abgetan werden konnten. Ich hörte mir erst 5 (!) Minuten ihre Überzeugungsarbeit an; ich hatte fast ein schlechtes Gewissen, wie ich sie da so reden hörte, und ich genau wusste, dass sie ihr Ziel nie erreichen werden wird. Danach fing ich an, abzuschweifen (ich war aber zu scheu, um krasses Geschütz aufzufahren, sprich: sie "in die Wand zu rammen" mit Stringtheorie-Gefasel u.ä., das zwar nicht direkt einen Zusammenhang hat, aber noch um Einiges komplizierter tönen würde, als ihr Gelaber). Ich brachte Schicksal, Angst vor dem Spielen, in der Verwandtschaft sei Lotto unbeliebt, es sei mir zu verbindlich etc etc ins Gespräch, was sie alles sehr gekonnt - diese Telefonistin hatte ein halbes Psychologie-Studium aufm Kasten, kam mir vor - widerlegte oder es zu widerlegen versuchte; es nützte nichts :)
Diesen Eifer, diese Zielstrebigkeit, mich von "ihrer" Sache zu überzeugen, hat mir unglaublich gefallen - und noch mehr, dass sie sich manchmal dem Ziel nahe sah, meinte, ich zappelte schon in ihrem Netz... hehe.
Sorry, wenn diese Sache niemanden interessieren sollte, mich fitzts halt.
PS: Ich will damit auch nicht aussagen, ich sei krass oder so (für diejenigen, die mich schon anficken wollten).