computerfreaks Jedesmal wenn ich euch über den Computer reden höre, lache ich still in mich hinein. Ihr, die ihr analog nicht von digital unterscheiden könnt, habt plötzlich eine Meinung, was Cyberspace ist und wie es dort zugeht. Auf Szeneparties, in Wirtschaftsberichten, in Talkshows - plötzlich plappert ihr alle über Multimedia-Dies und interaktives Das, als sei es irgendein neuer Trend. In Wirklichkeit habt ihr keine Ahnung von uns, von unserer Welt.
Wer wir sind, ist schwer zu sagen. Es gibt nicht mal ein richtiges Wort für uns. Wir kennen uns mit Computern aus, deshalb nennt ihr uns Computerfreaks. Aber das sagt weniger über uns als über euch. "Freaks" , das heißt eigentlich Anormale, Abartige: in sogenannten Freakshows wurden um die Jahrhundertwende Mißgebildete einem johlenden Publikum vorgeführt. Seitdem Computer ein hippes Gesprächsthema sind, mischt sich zwar gelegentlich so etwas wie Bewunderung in eure Stimmen, aber eigentlich sind wir euch nach wie vor suspekt. Wirklich freundlich klingt "Du bist doch so ein Computerfreak" nur dann, wenn ihr euch die Festplatte gelöscht habt, wenn Druckertreiber installiert und neue Windows-Versionen konfiguriert werden müssen.
Im Grunde eures Herzens findet ihr Computer immer noch häßlich und furchterregend. Ihr seht in ihnen komplizierte, undurchschaubare Maschinen, die nichts als Ärger bereiten. Aber in unseren Computerfreak-Köpfen, glaubt ihr, gehe es ständig um Dinge wie Schaltkreise oder DOS-Befehle. Ihr haltet uns allesamt für vereinsamte Klemmer, die mit Hingabe an Platinen schrauben und denen es dabei gar nicht kompliziert genug zugehen kann.
Wenn ihr nur verstehen würdet, daß uns Computer an sich egal sind.
Das Wort Computerfreak trifft für uns überhaupt nicht zu. Wer in Taktfrequenzen und Benchmark-Tests verliebt ist, gehört nicht zu uns. Wir kommen mit der Computertechnik klar, keine Frage. Aber wir benutzen sie nicht als High-Tech-Spielzeug, sondern als Fenster in eine andere Welt. Nicht, weil wir mit der wirklichen Welt nicht zurechtkommen, sondern weil uns eure Wirklichkeit zu banal und langweilig ist.
Die Japaner sind die einzigen, die einen Begriff für uns gefunden haben. "Otaku" nennen sie uns, Besessene, Träumer. Einem Otaku gelten Genetik oder Astronomie genauso viel wie Techno, "Star Trek"-Kult oder die phantastischen Reiche von Tolkien. Entscheidend ist das Verlangen, eine Ideenwelt ganz zu durchdringen und sich daran zu berauschen. Ob ihr das nun "trendy" oder "völlig unakzeptabel" findet, spielt überhaupt keine Rolle. Wir sind einfach Leute, die ihren Träumen nachgehen. Lange Zeit sind wir dabei Außenseiter gewesen; das war uns egal.
Irgendwann haben wir dann alle, wie von Zauberfäden gezogen, vor einem Computer gesessen. Wie es dazu kam, das ist das große Rätsel unserer Geschichte. Dieses Ding sprach zu uns, nahm uns in seinen Bann. Dieses Ding, das spürten wir, würde unser Leben verändern. Es war magisch.
Leute wie ihr ahnt davon nichts. Wie Touristen bei einer Folkloreshow starrt ihr über unsere Schultern auf den Monitor. Geht es da bunt und zappelig zu, dann murmelt ihr so etwas wie "Ah, Multimedia". Ist aber nur Text zu sehen, findet ihr es langweilig. So oder so, verstanden habt Ihr nichts. Was draußen auf dem Monitor zu sehen ist, ist nur ein schwacher Abglanz von dem, was drinnen passiert: drinnen im Kopf.
Um zu verstehen, müßtet ihr erst mal die Hände auf die Tastatur legen und anfangen, etwas einzugeben. Mit Computern kann man intuitiv und elegant umgehen, wie mit einem Musikinstrument. Aber dazu braucht man Übung. Am Anfang hält man sich an ein paar Standardgriffe. Diese Eingaben erzeugen ein Feedback, und wenn man es lange genug macht, wird daraus ein Rhythmus. Irgendwann hat man Tastatur und Maus vergessen . Die Gedanken verbinden sich, wie Noten zu einer Melodie, und die Welt hinter dem Bildschirm und die Welt im Kopf werden eins. Und so gerät man in den Cyberspace.
Schon 1984 hatte der Science-fiction-Autor William Gibson diesen Begriff erfunden, aber wir wußten schon davon, lange bevor wir es benennen konnten. Schon die ersten Videospiele wie "Scramble", "Pitfall" oder "Phoenix" bargen kleine, geheimnisvolle Welten für uns; erträumt von Leuten wie uns.
In den Achtzigern, als die ersten von uns eigene Computer in die Finger bekamen, dauerte es nicht lange, bis Fragmente unserer digitalen Welten über die Bildschirme geisterten - Bilder, Texte, Programme.
Die Programme waren Kopien von Kopien; Disketten, per Hand weitergereicht unter Freunden, Messebekanntschaften und obskuren Tauschkontakten. Die Disketten infizierten uns mit neuen Worten - "Lamer" etwa, so nennen wir Leute, die so tun, als wüßten sie über unsere Welt Bescheid. Und mit neuen Ideen wie "Shareware", das sind Programme, die jeder kopieren darf und für die man nur bezahlt, wenn man sie oft benutzt. Die Disketten, das merkten wir bald, waren nur ein kleiner Teil von etwas weit Aufregenderem, dessen Größe und Gestalt wir nur erahnen konnten.
Dann, eines Abends 1991, schloß ich zum ersten Mal meinen Computer über das Modem an. "CONNECT" las ich auf dem Schirm, und ab der ersten Sekunde, die ich so verbunden war, war mir, als ob ein Schleier gehoben würde: Hier ist es. Hier ist der Ort, wo die anderen sind, wo die Wörter, die Ideen herkommen.
Das Modem hat unsere Welt greifbar gemacht. Es verbindet alle unsere Computer über die Telefonleitung zu Netzen. All diese Netze bilden ein Meta-Netz, das Internet. Wie, das müßt ihr nicht verstehen. Wichtig ist nur dies: Im Netz kommen alle unsere Welten zu einem gemeinsamen Universum zusammen. Jetzt sind wir nicht mehr alleine mit unseren Ideen. Und das ist es, was Cyberspace wirklich bedeutet.
"@" - an diesem Zeichen könnt ihr uns jetzt erkennen. @ spricht man "at", und vielleicht solltet ihr euch langsam einprägen, wo es auf der Tastatur zu finden ist. Denn bald wird kein Brief und kein Mensch mehr ohne @ auskommen wollen.
Das @ verbindet einen Namen mit einem Ort im Netz . Das ergibt dann eine Adresse, etwa wie "Hal@big.net". Wer so ist wie wir, wird früher oder später zu seinem @ kommen - und damit endlich seinen Platz in der Welt gefunden haben. Was nicht heißt, daß man nur eine Netz-Adresse braucht, um einer von uns zu werden. Es gibt sogar eine Menge Leute, die verstehen viel von Computern und Modems, aber nichts von dem, was Cyberspace
zu so einem magischen Ort macht: Medienmanager, Kommunikationswissenschaftler, Zukunftsforscher. Sie sprechen viel von "Datenfernübertragung", "Teleshopping" und vom "lnformations-Superhighway" , aber sie denken dabei an Märkte, Arbeit und Profit. Und nicht, wie wir, an Spaß. Das schönste Beispiel für ihre Weltsicht ist Datex-J, das frühere BTX-Netz der Telekom. Jeder von uns verachtet die Telekom. Ihre Vorstellung eines guten Netzes ist unser Alptraum: Es ist langsam, umständlich, autoritär, und vor allem sterbenslangweilig. Telebanking, Zugfahrpläne, Firmenanzeigen - für die Netzbetreiber (schon dieses Wort!) ist der Computer nur eine weitere Möglichkeit, uns ihre Werbung in den Hals zu stopfen. Als Datex-J-Benutzer ist man immer nur Konsument, Bittsteller, Subjekt. Ein Netz für Knechte.
Unsere Netze gehören uns selbst. Wir entscheiden, worüber wir reden, und jeder kann dort anbieten, was er mag. Wir können uns im Usenet über Bondage-Sex oder über die Herstellung von LSD unterhalten. Wir können stundenlang in Chatboxen flirten oder "Doom" zu viert spielen. Wenn wir Gamelan-Musik aus Java, die erste Version des "Alien 3" Drehbuchs oder eine Bootleg-Liste von P.J. Harvey suchen, irgendwo im Netz kriegen wir sie, ohne dafür zu bezahlen. Das Netz ist die real existierende Anarchie. Und sie funktioniert.
John Perry Barlow, ein Rancher-Hippie aus Wyoming, der die "Electronic Frontier Foundation", eine Gruppe von Cyberspace-Bürgerrechtlern, mitgegründet hat, glaubt, daß die Gesellschaftsordnung mit der Entwicklung in den Netzen bald nicht mehr mithalten kann. Gesetze gelten nur innerhalb von Ländergrenzen. Cyberspace aber ist überall gleichzeitig. Wenn ich in meinem Land etwas ins Netz gebe, was in deinem Land verboten ist, wer will mich daran hindern? Und wer wird dich daran hindern können, es dir zu holen?
Was einmal im Netz ist, können alle kopieren und verbreiten. Bisher verdienen Verlage viel Geld damit, daß Künstler, Schriftsteller und Journalisten darauf angewiesen sind, ihre Ideen auf physische Objekte, auf Bücher oder CDs, bannen zu lassen, um es an ein Massenpublikum zu verkaufen. Im Netz kann jeder seine Ideen, seine Musik, seinen Roman selber verbreiten. Das ist das Ende der Vermarktung geistigen Eigentums, und für die Verlage heißt das, sie können einpacken.
Und das ist erst der Anfang. Die Netze werden alles verändern: Erziehung, Wirtschaft, Medien, Wissenschaft, Demokratie. Die "Digitale Revolution" nennt John Barlow das, und einige von uns verbringen lange Zeit damit, in den Netzen über die Auswirkungen dieser Revolution zu diskutieren. In einem Punkt aber sind wir uns alle einig: Aufhalten kann sie niemand mehr.
Was passiert, wenn jeder nach Lust und Laune seine Ideen ausbreiten darf, ist im "World Wide Web" zu sehen, der jüngsten Erweiterung des Internet. Dank WWW lassen sich Texte, Bilder und Töne zu magazinartigen Seiten zusammenfügen, die durch anklickbare Wörter, sogenannte Hyperlinks, miteinander verwoben sind. Jeden Tag pulsieren neue Seiten ins Web, und man kann Stunden damit zubringen, sich alles anzuschauen. Und mitzumachen.
"Websurfen" nennen wir das, und manchmal nachts, wenn das Modem rauscht und das Netz unter der schwankenden Leitungskapazität schwingt und bockt, dann denke ich, jetzt müßtet ihr bei mir sein und das miterleben. Die Magie ist dann so offenbar, und ich möchte es euch wirklich zeigen. Aber es hilft nichts. Ihr würdet wahrscheinlich wieder nur auf den Monitor glotzen und nichts verstehen.
Der Artikel wurde dem Jugendmagazin "JETZT" der "Süddeutschen Zeitung" entnommen
Ein sehr guter Text. Am Anfang dachte ich noch, es wär ein "Computerfreaks sind auch Menschen, keine Maschinen" Bericht - auf einen guten jener Sorte warte ich schon Ewigkeiten.
So, dann noch meine paar Kritikpunkte:
Der erste Teil will sagen "ich bin ein leetes Kind weil ich 1991 mein Modem hatte und weil ich dir /p eingeben kann". Der Autor gibt vor, ein krasser Computerfreak zu sein. Wär er das, hätte er Software geschrieben.
Das "ihr DAUS versteht nix von meiner Welt" ist ein wenig Arrogant für so einen, imho.
Zweite Hälfte ist recht cool, aber anstelle von "wir nehmen den armen Kapitalisten ihr intellectual property weg" (komisch dass er nicht warez erwähnt hat), haette er auch was über freie Software schreiben können. Ahja. Nein. Klar. So ein Freak wie der hat sicher sein mit einem nicht-selbstgemachten crack sein runtergeladenes (und dafür nix für die warez "community" gemacht habend (egal wie wüst ich warez finde)) Windows XP am laufen und tweakt es mit den krassen Insidertools die er kennt weil er krass intelligente Heftlis für Freaks (PC Welt, PC Praxis und Computerbild) liest.
Vielleicht gibt es ja mehrere Arten von "Computerfreaks", Herr Klaidrich. Er gehört zu jener Sorte, die sich um den Inhalt des Netzes kümmern, nicht um den hard- und softwaretechnischen Aufbau. Jemand muss die ganzen Pics und Texte ja auch ins Netz stellen, die wachsen nicht von selbst, wenn man ein Unix-Derivat konfiguriert und freie Software dafür schreibt :)
trotz drohender gefahr als shizophrener forenuser dazustehen, antworte ich auf meinen eigenen post .. ansich aber nur um ihn nach abinken des weiter oben gelesenen inhalts noch auszubauen.
und zwar birgt das ganze system noch eine "gefahr":
nicht nur die verlage/labels bekommen keinen deut mehr, sondern auch die texter/künstler/schreiber im allgemeinen (wenn das "geistige eigentum" nicht "geschützt" werden kann.
und solange ein mensch noch nahrung braucht, die er mangels zeit (er ist ja am schreiben/texten) nicht selber züchten kann und es so gegen harte währung kaufen muss, nützt auch herzblut als antriebsfeder herzlich wneig wenn er verhungert.
Mein lieber Mitbürger
Ist das einzige unter unendlich vielen Systemen, dass Du Dir vorstellen kannst, jenes, wo zur Behinderung der Forschung und des technischen Fortschritts die Ideen der Menschen patentiert, vermarktet, ja fast schon prostituiert werden?
Eine Künstler-Organisation, die ihre Angestellten (Schriftsteller usw) mit Geld bezahlt, dass sie anderswo einnimmt, z.B. durch Aufträge von Firmen wär eine Möglichkeit.
Oder dass der Staat guten Literaten was zahlt.
Oder dass Künstler als Nebenerwerb irgendwo arbeiten, wo sie ihre Fähigkeiten einsetzen können.
Wie stünden wir denn heute da, wenn Newton sein Gravitationsgesetz hätte patentieren lassen?
Überleg mal, wie wir in hundert Jahre dastehen werden, wenn die heutigen Forschungsergebnisse patentieren lassen...
Die Hölle.
IMHO gehört Forschung zu den Aufgabengebieten des Staates. Die Schaffung von sogenanntem "intellectual property" zu kommerziellen Zwecken hat IMHO immer einen Haken, genau wegen der kommerziellen Ausrichtung.
Ja, das ist vielleicht ein kommunistischer Ansatz, aber wenns um Information und nicht um Materielles geht, ist das wohl praktizierbar, da das kopieren von Information wenig ressourcen verbrätelt.
1 Jahr wäre auch eine Idee, ja nicht länger, damit der "Fortschritt des Gesamtwissens" nicht gebremst wird, aber trotzdem genug lange, damit es sich auch finanziell gelohnt hat für die Entdecker.
ich muss sagen, milambers vorschlag kann ich auch vertreten, obwohl ich ip-gegner bin. aber so wäre das schriftsteller-brötchenverdienst-problem gelöst und nach einer gewissen zeit steht das wissen allen zur verfügung.
slime: es wird immer leute geben, die unbedingt das neueste besitzen müssen. gewisse leute brauchen einfach den längsten. ausserdem gibts ja noch die firmen, die sich untereinander vielfach zwangsläufig lizenzieren, weil sie vorne dabei sein müssen, um zu überleben.
milamber: jetzt müssen wir die sache nur noch an den mann bringen. demo vor dem bundeshaus? ich hab eh 4 wochen sommerferien...