zorg.ch
#549 by @ 04.12.2001 22:42 - nach oben -
Die Amis und ihr Stolz
Wieder mal bei der Anarchistischen Pogo Partei Deutschland vorbeizuschauen hat sich gelohnt. Der Ansicht, die im folgenden Text vertreten wird, kann ich mich mehrheitlich anschliessen.

Business as usual in New York
Autor: Peter Seyferth
Datum: 14. September 2001
Kurztext: Eine Stellungnahme zum Anschlag auf das World Trade Center

Dass Terroristen das World Trade Center filmreif in Schutt und Asche gelegt haben, hat inzwischen wohl jeder mitgekriegt. Alle sind betroffen und trauern. Schließlich sind ja ein paar tausend Menschen gestorben. Ein bisschen befremdlich ist es zwar schon, daß die paar tausend Menschen, die am 10. September oder am 12. September oder an jedem beliebigen anderen Tag an den Folgen von Hunger, Krieg und Vertreibung gestorben sind, keine Schweigeminuten verdient haben - aber schließlich handelte es sich dabei ja nicht um Amerikaner! Nichtsdestotrotz ist der Terroranschlag in Amerika nicht so einzigartig, wie jetzt immer getan wird. Er ist lediglich ein besonders medienwirksamer Bestandteil einer Kultur der Gewalt, die in der weltweiten Politik vorherrscht.

Es ist durchaus üblich, politische, religiöse oder weltanschauliche Feinde massenhaft umzubringen. Manchmal schön langsam der Reihe nach, manchmal möglichst viele auf einmal. Eine Frage der Kosten-Nutzen-Rechnung. Manchmal leise und klammheimlich, manchmal mit großem Knall und bunten Action-Bildern. Eine Frage des Prestiges. Meistens trifft es Arme, selten auch mal Reiche. Eine Frage der Mengenverhältnisse. Die Armen trifft es häufiger, da es einfach mehr Arme als Reiche gibt. Außerdem ist es leichter, gegen Schwächere vorzugehen. Die Reichen erwischt man nur aus dem Hinterhalt, nur mit Überraschungseffekt, nur wenn keine Gegenwehr möglich ist. Feige - aber effektiv.

Wer sich an Hiroshima und Nagasaki erinnern kann, oder - räumlich etwas näher - an London und Dresden, der erkennt Massenvernichtung von Zivilbevölkerung in zivilisierten Großstädten als bewährtes, traditionelles Kriegsmittel im Arsenal der Staaten, die sich heute in der NATO zusammengeschlossen haben und exklusiv das Qualitätsmerkmal "freie Welt" für sich beanspruchen. Amerikanische und deutsche Politiker haben die Terroranschläge auch sofort als "kriegerische Handlungen" bezeichnet. Nur haben sie offensichtlich vorher nicht gewusst, dass sie sich in einem Krieg befinden. Das wird halt jetzt nachgeholt. 1914 gab es beim Attentat in Sarajewo zwar weniger Opfer, aber ansonsten bleibt alles beim Alten: Parteien rücken zueinander, endlich Burgfrieden, Sozialdemokraten sind begeistert vom Krieg. Deutschland stellt einen Blankoscheck aus. Und die ganze Nation des Attentäters muss vernichtet werden, schließlich sind wir zivilisiert. Wo es früher "Serbien muss sterbien!" hieß, müssen heute halt die Afghanen herhalten, oder die Palästinenser oder die Iraki.

Wenn ich hier schreibe, dass die feigen, brutalen Anschläge in Amerika nicht so außergewöhnlich sind, wie sie oberflächlich betrachtet erscheinen, dann heißt das nicht etwa, dass ich diese Gewalttaten relativieren will oder gar befürworte. Im Gegenteil: sie sind auf das schärfste abzulehnen. Aber das gilt eben auch für den Rest der politischen Gewaltkultur. Der Amerikaner, der im WTC gestorben ist, ist nicht wertvoller als der Afrikaner, der des Hungers stirbt, oder als der Israeli oder Palästinenser, der im semitischen Krieg stirbt, oder als der politische Gefangene, der im türkischen Gefängnis totgefoltert wird. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Das Problem ist die scheinbare Legitimität staatlicher oder politischer Gewalt. Es wird allgemein anerkannt, dass Staaten oder ähnliche politische Gebilde (z.B. Terrororganisationen) das Recht haben, ihre Weltanschauung mit Gewalt durchzusetzen. Achtzig Prozent der Palästinenser stimmen Selbstmordattentaten in Israel zu, neunzig Prozent der Amerikaner stimmen massiven Vergeltungsmaßnahmen gegen egal wen zu, und es ist anzunehmen, dass sogar viele der anständigen, demokratischen, autonomen Antifas mit größter Freude ein Flugzeug in ein Hochhaus voller Nazis krachen lassen würden. Und natürlich jeweils umgekehrt, man lässt sich ja nicht lumpen. Zumindest sind selbst in unserem APPD-Gästebuch genug solcher Gewaltfantasien geäußert worden.

Wir müssen anfangen, das Übel an der Wurzel zu packen. Wir müssen also im wörtlichen Sinne radikal werden. Denn die Symptome zu bekämpfen heißt in diesem Falle Öl auf das Feuer zu gießen. Die Welt wurde noch nie besser durch Vergeltung. Kein Toter wird lebendig gemacht, indem man einfach noch ein paar weitere Leute umbringt. Auch dann nicht, wenn man Rassist genug ist, um den Tod eines Amerikaners schlimmer zu finden als den Tod eines Afghanen - oder wer letztendlich als Sündenbock herhalten muss. Radikal sein heißt: Politischen Gebilden aller Art das Instrument der Gewalt aus den Händen zu nehmen. Ohne Gewalt können die meisten politischen Gebilde zwar nicht überleben. Aber wenn Gewaltverzicht den Tod von politischen Gebilden bedeutet - nun, besser als der Tod eines Menschen ist der Tod eines Staates allemal!

Konkrete Handlungsanweisung für rückverdummte Leser: Verweigert die Teilnahme an Gewalthandlungen, verweigert den Gehorsam, verzichtet in jedem Fall auf Rache! (Ich weiß selbst, dass sich da keine Sau dran hält. Aber Recht habe ich trotzdem!)

Aus der Online-Redaktion der APPD
Quelle dieser Seite im Internet: http://www.appd.de
zorg.ch
#548 by @ 04.12.2001 22:42 - nach oben -
find ich auch.
könnte es nur nicht so schön formulieren
zorg.ch
#552 by @ 04.12.2001 22:52 - nach oben -
Der Herr "Peter Seyferth" spricht mir aus dem Herzen!
zorg.ch
#568 by @ 05.12.2001 13:10 - nach oben -
Ja seinen Worten geb ich absolut recht!
zorg.ch
#569 by @ 05.12.2001 13:44 - nach oben -
Terrorismus im WTC ausmass ist schlimmer und unmittelbarer als die Welthungersnot.

Für die Leute in Hungersnot gibt es auch schweigeminuten, und sogar noch mehr Projekte, an denen ihr sicher alle mitgemacht habt.

Die Medienwirksamkeit des 911-Unglücks ist sicherlich tausendmal höher als die der Hungersnot - Ironisch ist aber, dass der Autor dieses Berichtes seine Meinung von eben jener Medien gebildet hat, die er kritisiert - wie wir alle auch...

Ich bin kein Befürworter des amerikanischen Vorgehens in Afghanistan, da ich aber selbst keine bessere Möglichkeit sah, protestierte ich nicht dagegen.

zorg.ch
#676 by @ 10.12.2001 21:49 - nach oben -
du bisch au krass verstumpft man.

ganz klar, dass es uns viel nützt, wenn in 14 tagen, wo der winter in afghanistan einbricht, nach schätzungen 100'000 kinder an hunger verelendigen. dazu kommen die im bombardement getöteten zivilisten, und die zigtausenden von flüchtligen, die alles aufgegeben haben, um ihre unschuldige haut zu retten.

alles in allem würd ich sagen sind das zwar abartig viel mehr tote, verletzte, psychisch geschädigte und in armut geworfene menschen als je ein terrorakt mit sich ziehen könnte, aber du siehst ja keine andere möglichkeit.

ausserdem hat sich der seyfert seine meinung nicht nur aus diesen medien gebildet - sowas tut ein autor für die apod nicht.

und mal davon abgesehen, dass die amerikanische wir-sind-intellektuell-noch-in-der-steinzeit-regierung momentan grad die nächste generation von terroristen ausbildet, tut es sicher gut, es zu befürworten.
wenn mir, als unschuldigem, mein haus verbombt und mein ganzes land vom internet abgehängt werden würde, und die lieben amis hätten mir auch noch ein paar freunde und verwandte abgemurkst, die genau friedlich und unschuldig waren - was würde ich tun? vielleicht, wenn ich psychisch wirklich im arsch wäre, würde ich auch ausrasten, und die amis abrotzen wollen.
sorry, aber so ist es.

wenn sie weltpolizei spielen, und mit der bekämpfung der symptome die ursache brutal fördern, dann müssen sie sich genau über nichts wundern - der terror ist nämlich noch lange nicht vorbei.

selber tschuld, scheiss wirtschaftsspionierendi arroganzweltmeister us übersee.
zorg.ch
#96241 by @ 16.11.2006 23:49 - nach oben -
grundsätzlich hat er ja recht... aber:

>Politischen Gebilden aller Art das Instrument der Gewalt aus den Händen zu nehmen. Ohne Gewalt können die meisten politischen Gebilde zwar nicht überleben. Aber wenn Gewaltverzicht den Tod von politischen Gebilden bedeutet - nun, besser als der Tod eines Menschen ist der Tod eines Staates allemal!<

wenn kein politisches gebilde irgendwelcher art das instrument der gewalt in den händen hat,führts zu anarchie, da jeder sein bisschen gewaltinstrument selber nützt. und dann gilt das faustrecht. obs dann weniger tote gibt, wage ich zu bezweifeln. oder das instrument der gewalt wird der kirche übergeben. siehe die katholiken im mittelalter... proscht denn!